Viele würden gern Rollenspiele machen

Die Sexologin Diana Schiftan sagt, warum Mut in einer Beziehung so wichtig ist – und wie man mit dem Partner über Fantasien und Wünsche spricht


Das Wichtigste für ein erfülltes Sexleben ist nicht Erfahrung, nicht die Ausdauer – und nein, auch kein grosser Penis -, sondern Mut. Das sagt Sexologin und Psychotherapeutin Diana Schiftan. Denn in fast allen Beziehungen wird der Sex mit den Jahren monotoner. Irgendwann weiss man, was dem anderen gefällt. Was gut ist. Man ist aufeinander eingespielt, weiss, wie der andere auf Touren und zum Orgasmus kommt. Aber: „Auch wenn Spaghetti das Lieblingsessen ist, wenn man immer Spaghetti isst, hat man irgendwann keine Lust mehr darauf“, so Diana Schiftan. Paare wollen und haben mit den Jahren weniger Sex – eine Gefahr für jede Beziehung. Doch was können wir dagegen tun? Ein Treffen mit der Expertin.


Diana Schiftan, warum wird das Sexleben mit den Jahren schlechter?

Weil der Mensch genügsam und bequem ist. Ein Paar einigt sich nach sechs bis neun Monaten stillschweigend auf die drei, vier Abläufe, die gut funktionieren. Die Verliebtheitsphase, in der man neugierig ist auf den Körper des anderen, aber auch auf die Empfindungen des eigenen Körpers, ist vorbei. Man macht nur noch, was sich lohnt, also eher direkt zum Orgasmus führt. Am Anfang ist man durch den Hormonflash viel mutiger und probiert auch deshalb Verschiedenes aus.


Wächst der Mut nicht mit dem Vertrauen?

Nicht zwingend. Zu Beginn einer Beziehung teilt man noch keine Erinnerungen. Wenn etwas an Wert gewinnt, wächst die Angst, es zu verlieren. Speziell Frauen wollen niemanden vor den Kopf stossen oder, noch schlimmer, zurückgewiesen werden.


Und deshalb muss man mutig sein?

Man braucht Mut, um zu sagen, dass man Neues ausprobieren will. Man braucht Mut, um zu sagen, was einem eigentlich gefällt. Ein klassisches Beispiel ist etwa, dass der Mann die Frau in den ersten Monaten oral befriedigen will. Aus Gründen wie Unsicherheit oder Scham schiebt sie ihn die ersten paar Male weg. Er speichert: Sie mag keinen Oralsex. Aber eigentlich würde sie Oralsex mögen. Weil er nun aber keinen Versuch mehr startet, denkt nun sie, ihm gefalle das nicht. Nach ein paar Jahren nun Oralsex zu verlangen, braucht Mut. Das Gleiche gilt für Rollenspiele. Eigentlich würden viele gerne Rollenspiele machen, trauen sich aber nicht, dies dem Partner zu sagen.


Wie wird man mutiger?

Der erste Schritt: Man muss sich eingestehen, dass so etwas Mut kostet. Und dann muss man wissen, dass Mut lernbar ist. Mut ist Übungssache. Je öfter man mutig ist, desto einfacher ist es, mutig zu sein. Zweitens: Man muss wissen, was man beim Sex zwingend will, was man ausprobieren und was man mal erleben möchte.


Und wie fasst man sich ein Herz und sagt es dem Partner?

Es gibt zwei Herangehensweisen: Flooding (Überfluten) und die systematische Desensibilisierung. Einige Leute fahren gut damit, direkt mit dem Schwierigsten zu beginnen, dass heisst konkret, sie sprechen aus, was sie wollen. Sie sagen ihrem Partner direkt: Ich will jeden Tag Oralsex. Diese Methode heisst Flooding. Diese Strategie ist gut, weil es so gleich zu Beginn die Angst aufs höchste Level treibt und man so die Erfahrung macht: Ich kann das! Es bringt mich nicht um. Ich halte diese Angst aus! Bei einer Spinnenphobie wird diese Technik angewandt. Man gibt den Leuten gleich die grösste, hässlichste Spinne in die Hand. Danach ist alles einfach. Die zweite Methode ist die systematische Desensibilisierung. Da schreibt man sich selber auf, was wenig Mut und was mehr Mut benötigt. Man macht sich eine Liste nach Schwierigkeits-, also Mut-Grad. Strapse anziehen braucht wenig Mut. Sagen, dass man einen Dreier will, braucht viel Mut. Und so weiter. Man sagt zuerst das Einfachste und arbeitet die Liste dann Stück für Stück ab – schaut dabei, wie der andere darauf reagiert.


Wieso haben viele so grosse Angst, dass der Partner ihren Wunsch nicht gut findet?

Paare haben grundsätzlich Angst, verschieden zu sein. Seien dies Hobbies, Filme, Rituale und Werte. Sie denken, wenn wir zu verschieden sind, passen wir nicht zusammen. Der Unterschied ist jedoch, dass man sich bei anderen Dingen mit Freunden austauschen kann. Man kann sich sozial abgleichen. Beim Thema Sex gibt es kaum ehrlichen Austausch. Niemand weiss, was als pervers gilt. Das vergrössert die Unsicherheit. Weil man aber nicht weiss, was als normal gilt, sagt man nichts und leidet. Oder man erfüllt sich die sexuellen Wünsche auswärts.


Warum ist man dort mutiger?

Weil die Sorge, dass die fremde Person den Wunsch pervers oder abartig findet, kleiner ist. Es wäre nicht so schlimm, wäre dies der Fall. Einige wollen gar nicht wissen, was ihr Partner oder ihre Partnerin wirklich von dem Wunsch denkt. Denn wenn sie die Antwort haben, und die ist beispielswiese, dass er oder sie das nicht machen will, dann müssen sie mit dieser Antwort umgehen können.


Das heisst?

Dann müssen sie für sich entscheiden, wie wichtig dieser Wunsch ist. Angenommen, man will Oralsex, aber der Partner will das nicht machen, muss man sich dafür entscheiden, ob man ohne Oralsex leben kann. Man kann den Partner versuchen zu überreden, es extern holen oder Schluss machen.


Ist es okay, jemanden wegen unerfüllter sexueller Wünsche zu verlassen?

Es ist okay, Konsequenzen zu ziehen. Aber das wollen viele nicht wahrhaben. Tatsache ist, dass man bei jedem Partner auf gewisse Dinge verzichtet. Speziell in monogamen Beziehungen ist das eine Herausforderung. Man muss sich ehrlich fragen: Auf wie viel bin ich bereit zu verzichten? Wenn etwas für jemanden zu den Basics gehört, dann will er oder sie wohl auf Dauer nicht darauf verzichten.


Soll man gleich am Anfang der Beziehung den Mut aufbringen und alle Wünsche auf den Tisch legen, damit es nicht irgendwann so weit kommen muss?

Je authentischer jemand ist, desto besser ist der Sex schon zu Beginn. Aber das Spannende am Sex mit einem neuen Partner ist ja auch, sich neu kennen zu lernen, zu experimentieren und herauszufinden, wie man zusammen funktioniert.


Ist Mut als Single wichtig?

Und wie! Weil man da keine Kompromisse eingehen soll. Man ist ja ungebunden und soll sich den Sex holen, den man gut findet. Das machen aber vor allem Frauen zu wenig. Sie wollen häufiger gefallen und sind dann frustriert, wenn der Sex nicht so ist, wie er ihnen gefällt. Deshalb haben Frauen auch seltener One-Night-Stands, sondern eher Affären, weil sie sich wohler fühlen und deshalb mutiger werden. Doch je offener und schneller man sagt, was man will, desto schneller profitiert man davon. Das gilt für Paare wie für Singles.

Quelle: Basler Zeitung

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